Ich halte ja zu solchen Themen eher die Klappe, aber wenn sogar die
c't im Editorial der Ausgabe 6/2011 schreibt
Doch wenn Linux wirklich aus der Nerd-Ecke herauskommen soll, dann muss es die bessere, coolere, schönere Alternative zu Windows werden
muss ich jetzt mal ein paar Zeilen loswerden. Als Hintergrund sei hier auf den Artikel
Linux is not Windows verwiesen, dessen Aussagen ich mich anschließen kann (hier
in deutsch).
Also: im Raum steht „Linux ist nicht ready for the Desktop“ und „unser Linux muss schöner/einfacher/besser werden!“.
Wen interessiert es, ob Linux auf dem Desktop läuft?
Wer legt fest, dass Linux aus der Nerd-Ecke rauskommen soll?
Gehen wir mal die typischen Nutzergruppen durch:
Der typische
Hacker/Geek/sonstwas. Linux ist von Hackern für Hacker entwickelt. Die Leute kommen damit zurecht, weil sie das für ihresgleichen geschrieben haben. Die nutzen es bereits. Die sind glücklich. Und wenn was fehlt, wird es ergänzt.
Konkretes Beispiel: Ich.
Firmen, die Linux für bestimmte
Hardware brauchen (sei das als Kernel für irgendwelche Mobilgeräte, versteckt in Festplattenrekordern oder als Steuersoftware in Fahrstühlen). Die haben gar keinen Desktop :-) Sie nutzen Linux bereits, weil es ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Wenn irgendwas nicht passt, wird es passend gemacht, das ist ja explizit möglich. Im Idealfall resultieren daraus Treiber, Kernelerweiterungen oder Programme, die an die Community zurückgehen. Im weniger idealen Fall halt nicht.
Firmen/Behörden/sonstwas, die Linux wegen der
Software einsetzen, um z.B. Webserver zu betreiben, Datenbanken, Storage-Cluster oder sonstwas. Für die gilt das gleiche wie für die Hardware-Firmen, die nutzen Linux, weil’s passt und schrauben ggf. dran rum.
In beiden Fällen basteln und ergänzen da übrigens wieder Leute, die sich damit auskennen, also „professionelle“ Hacker/Geeks, das deckt sich mit der ersten Personengruppe.
Verwaltungen, die z.B. aus Kostengründen tatsächlich
Linux auf dem Desktop ausrollen. Nun, Überraschung, die haben offensichtlich festgestellt, dass Linux auf dem Desktop benutzbar ist, sonst würden sie es nicht tun.
Den „
Einfach-User“. Der will Email, Internet, Briefe schreiben. Der weiß nicht, was ein Betriebssystem ist und/oder es ist ihm egal. Der würde auch ein Windows nur vorkonfiguriert kaufen, weil er keine Installation durchführen kann und/oder will. Solchen Leuten stellt man ein Linux hin und die sind glücklich, weil Email, Internet, Briefe schreiben funktioniert. Die wären aber mit einem Windows genauso glücklich. Oder einem BSD. Oder einem Mac. Oder einem Amiga. Alles nur ein Unterschied in Sachen Anschaffungskosten und Administration.
Konkretes Beispiel: Meine Mutter :-)
Sie nutzt auf der Arbeit Windows und vermutlich MS Office, zu Hause Firefox, KMail, OpenOffice unter Debian. Ich administriere das System aus 250km Entfernung und das läuft alles vollkommen problemlos. Das einzige, wo es mir graut, ist der anstehende Schwenk auf KDE 4, aber da wäre ein Wechsel von XP auf Windows 7 genauso schlimm – nur müsste ich dabei wohl auch noch neue Hardware kaufen wegen der Treibersituation…
Kommerzielle Distributoren (nicht-kommerzielle wie Debian würde ich oben unter Hacker/Geeks einsortieren). Die verdienen nun mal ihr Geld damit, Linux zu verkaufen. Klar, dass denen neue Käuferschichten gelegen kommen und dass sie dafür ein einfach zu nutzendes System für den „Einfach-User“ anbieten wollen. Aber die machen das dann auch und sorgen für die einfache Bedienung. (Von solchen Aktionen bin ich definitiv nicht die Zielgruppe, aber deshalb können die das ja ruhig trotzdem machen. Stört ja nicht. Will meinen: Ich will z.B. kein zentrales Tool wie
yast
, aber das soll ja niemand anderen davon abhalten, das zu nutzen. Für mich ist die Diversität ein großer Vorteil von Linux.) Die rennen auch nicht rum und schreiben, dass Linux nicht auf dem Desktop taugt. Dabei wäre das bisher die einzige Gruppe, die was davon hätte, Linux aus der „Nerd-Ecke“ hinaus unters breite Volk zu kriegen: sie können dann mehr verkaufen.
Damit bleiben als eigentliche Schreihälse „das taugt nix!“ eigentlich nur noch die halbwegs versierten, halbwegs informierten
Poweruser über, die derzeit kein Linux nutzen (de facto also Windows und/oder Mac, so viel anderes in großen Stückzahlen gibt es ja nicht). Ja, aber die haben doch ein System. Denen kann es doch auch egal sein, was Linux macht. Mich betrifft doch auch nicht, was Windows gut kann oder nicht, ich nutze es nicht.
Ja, es sei denn, die sind mit ihrem System nicht zufrieden. Dann würde es erklären, warum sie gerne ein „Linux for the desktop“ hätten. Nur, dann sind sie die einzigen, die danach schreien. Und (mal abgesehen von den kommerziellen Distributoren) auch die einzigen, die überhaupt ein Interesse daran haben, Linux aus der „Nerd-Ecke“ rauszukriegen. Nur sind sie definitiv nicht in der Lage, das selber zu machen. Also stellen sie sich hin und verlangen ein Linux auf dem Desktop und unterstellen, dass irgendjemand außer ihnen das Ziel auserkoren hat, dass Linux auf den Desktop müsse.
Logisch, wenn das (außer kommerziellen Distrubutoren) keinen interessiert. Alle anderen sind doch bereits zufrieden.
Somit bleibt den Powerusern eigentlich nur übrig:
- sie nutzen Linux, wie es heute ist (ja, das heißt Lernen und Umdenken)
- sie bewerfen einen Distributor mit Geld, bis er etwas für sie passendes schlüsselfertig hinstellt
- sie kriegen ihren aktuellen Systemhersteller dazu, die gefühlt vorhandenen Macken und Probleme abzustellen (vermutlich auch wieder über Geld)
Hugh, ich habe gesprochen. Warum nochmal beschäftige ich mich jetzt mit solchen Dingen?
(Das ist übrigens keine wochenlang recherchierte Arbeit, sondern ein kurzer Sonntag-Morgen-Rant nach der Sendung mit der Maus. Kommentare sind trotzdem willkommen :-)
PS: Warum nölt eigentlich niemand rum, dass *BSD nicht ready for the Desktop ist? Oder Plan9? Oder…