ISBN 978-0-006-48041-9
Ich habe mir das Buch gekauft, weil es mir ständig über den Weg lief und als das Buch, in dem William Gibson 1984 den Cyberspace als virtuelle Welt erfunden hat, referenziert wurde. So was bahnbrechendes grundlegendes muss man ja mal gelesen haben. Auch hinten auf dem Klappentext steht extra drauf "Cyberspace and virtual reality were invented in this book."
Mit inzwischen 26 Jahren Abstand und der Erfindung des Internets, mit Chatrooms,
World of Warcraft und
Second Life ist das natürlich alles längst Realität geworden, nichts besonderes mehr und haut keinen mehr vom Hocker. Ohne die Vorwarnung, dass der Cyberspace in dem Buch "erfunden" wurde, hätte ich ihn einfach als gegeben hingenommen. Ist halt nichts besonderes. Immerhin habe ich
System Shock mal selber durchgespielt (hmm, sollte man mal wieder in ordentlicher Auflösung spielen, gab es da nicht ein Revival-Projekt?).
Oder ist genau das der Grund, warum Gibsons damalige Vision so bahnbrechend war? Weil sie vieles direkt oder indirekt beeinflusst hat und nachgeahmt und teilweise umgesetzt wurde und ich genau deshalb jetzt so "abgebrüht" bin, dass es für mich einfach total normal ist, dass in einem Science-Fiction-Setting halt ein Cyberspace vorkommt?
Mal diese ganzen Meta-Überlegungen beiseite: Das Buch ist gut!
Alle reden bei dem Buch über virtuellen Realitäten, aber niemand hat mir gesagt, dass Gibson so gut schreiben kann. Schon nach der ersten Seite hatte mich das Buch in seinen Bann gezogen, die Story hat ein gutes Tempo und legt gleich los.
Ich gebe zu: Ich hätte mehr Spaß an dem Buch gehabt, wenn ich nicht ständig auf den Cyberspace gewartet hätte. Es spielt nämlich zum überwiegenden Teil in der Realität, anders als ich erwartet habe.
Das ist nichts schlechtes: Das Setting ist ähnlich wie z.B. in
Blade Runner: Große Korporationen und Konzerne haben das Sagen, es gibt düstere und unwirtliche Gegenden und nicht nur als Schläger oder Killer, auch als Hacker kann man es zu etwas bringen. Könnte alles direkt aus einem Anime stammen :-)
Zur Story will ich nicht viel sagen, um nichts zu verraten (ist nämlich eine ganz klare selber-lesen-Empfehlung), so grob läuft es auf "heruntergekommener Hacker wird von mysteriösem Auftraggeber in ein zusammengewürfeltes Team geholt, um ein großes Ding zu drehen" heraus. Wir sind hier also nicht auf der Seite der typischen Guten unterwegs.
Es gibt vieles, was mir an dem Buch gefällt, sehr hervorstechend ist aber eine Kleinigkeit, die auch in den Animes der 80er noch möglich war: echte Firmennamen. In der Zukunft haben einige bekannte Firmen überlebt, sind extrem gewachsen und tauchen wie selbstverständlich in der Handlung auf: Da wird sich über das Telefonnetz von Bell Europe in Server gehackt, es gibt Kaffeemaschinen von Braun, Monitore von Sony, Hitachi-Steckeradapter und noch interessantere (irgendwelche Firmenzusammenschlüsse), die ich inzwischen leider wieder vergessen habe.
Alles in allem ein doppelt spannendes Buch: einerseits ist die Handlung spannend, andererseits die Entdeckungsreise in die dargestellte zukünftige Welt.
Und dass diese Zukunftsvision schon über 25 Jahre alt ist, merkt man ihr nicht an. Zeitlos gut!