Immortals Fenyx Rising
Wir haben neuerdings eine Switch im Haus und haben uns dafür die
ersten Spiele zusammengesucht. Als GOG-verwöhnter Sparangebotskäufer
musste ich bei den äußerst preisstabilen Switch-Titeln erstmal
schlucken – da werde ich mir so schnell keinen Berg an ungespielten
Titeln anlegen ;-)
Meine Frau hatte Immortals Fenyx Rising als Download-Angebot für 15
EUR aufgetan (ein Viertel des offiziellen Preises im Nintendo-Shops)
und ohne allzu genau zu wissen, was das eigentlich ist, haben wir
einfach mal zugegriffen. Spoiler: Es hat sich sehr gelohnt – und das
nicht nur aufgrund des kleinen Preises.
Worum geht's? Der böse Titan Typhon hat sich aus der Unterwelt befreit, die olympischen Götter gestürzt und diverse Menschen in Steinstatuen verwandelt. Unser Job als kleiner Schildträger und Geschichtenerzähler ist es, zu einem stattlichen Helden des antiken Griechenlandes heranzuwachsen und alles wieder ins Lot zu bringen.
Wer da an God of War denkt, liegt nicht ganz falsch, allerdings ist Fenyx bei weitem nicht so blutig, düster und kampflastig. Die Aufmachung ist eher comic-artig. Statt linear vorgegebener Level durchstreift man eine riesige Landschaft, ist frei in der Wahl seines nächsten Zieles und hat öfter kleine Rätsel zu lösen.
Das Spiel hat seinen eigenen Charme: Die Geschichte wird von Prometheus und Zeus kommentiert und nimmt sowohl sich selbst als auch die griechische Mythologie nicht allzu ernst. Es wird ein großer Topf voller antiker Götter, Helden und Geschichten über dem Spieler ausgeschüttet – die meisten Dinge werden nicht sonderlich vertieft, aber der Schulunterricht war wohl nicht ganz unnütz, weil ich von vielem schon mal gehört habe (#Lieblingsthema).
Das konkrete Gameplay besteht daraus, erstmal an sein gewünschtes Ziel
zu kommen. Es gibt zwar Schnellreisepunkte, die letzten Meter muss
man aber dann doch per Pedes zurücklegen (hat man einen ausreichend
hoch gelegenen Ausgangspunkt, kann man auch eine begrenzte Strecke
fliegen/gleiten/segeln).
Die Anreise verhindern wollen dabei sowohl vereinzelte Gegnergruppen
als auch herumliegende Pflanzen, die man zum Tränke-Brauchen
einsammeln kann. Noch schlimmer ist aber die vollgestopfte Landschaft
selbst: Auf dem Weg zu seinem Ziel kommt man schnell man an ein bis
fünf anderen interessanten Punkten vorbei, die man erstmal untersuchen
und abschließen will. Da kann man sich gerne mal verzetteln und die
ursprüngliche Quest aus dem Auge verlieren.
Ich persönlich finde das einen der schönsten Aspekte am Spiel: Einfach
mal loslaufen und gucken, was da kommt und die Aufgaben lösen, die
sich ergeben und auf die ich gerade Lust habe. Ich sitze hier in
meiner Freizeit zum Spielen, nicht zum Quest-Abarbeiten.
Die eigentlichen Aufgaben bestehen zwar aus einem festen Repertoire, aber da sie miteinander kombiniert werden und der Pool groß genug ist, kommt so schnell keine Langeweile auf. Und ganz ehrlich: Auch bei Zelda nutzt man letztendlich immer die gleichen Items (Bomben, Pfeile, Enterhaken, …) und es reicht für ein ganzes Spiel. Fenyx bietet unter anderem folgendes:
- eine recht realistische Physik-Engine, die es ermöglicht, Felsen, Kisten, Baumstämme etc. herumzutragen und zu werfen oder schwere Steinkugeln zu rollen
- Bodenplatten, die beschwert werden wollen – teils mit einem bestimmten Gewicht
- Gegner in verschiedenen Ausprägungen, von einfachem Kanonenfutter bis zu optionalen(?) Super-Bossen
- Knöpfe zum Drücken
- Luftströmungen, die entweder Kugeln und Kästen durch die Gegend wirbeln oder die man selbst als Aufwind zum Segeln benutzt
- Sprint-Einlagen: komme innerhalb einer bestimmten Zeit von A nach B
- Klettern!
- Schnitzeljagden: Es gibt Aufgaben, bei denen man leuchtenden Kugel in der Umgebung finden und heranschaffen muss, aber auch bei anderen Aufgaben ist regelmäßig etwas Spürsinn nötig („Wo kriege ich denn hier eine schwere Kiste her?“)
- Bogenschuss-Kunststücke: zum Glück kann man um die Ecke schießen
- Verschiebepuzzles
- jeder Busch und fast jeder Baum lassen sich umhacken und oft verstecken sich darunter Sammel-Pflanzen – hat man auf gar nichts mehr Lust, kann man einfach eine Runde „Rasenmähen“ gehen
Im Laufe der Story erarbeitet Fenyx sich neue Waffen, Rüstungen und
Spezialfähigkeiten. Auch hier ist einem freigestellt, was man in
welcher Reihenfolge verstärkt. Kämpft man eher mit Schwert oder Axt?
Oder doch lieber aus sicherer Distanz mit dem Bogen? (Das waren sie,
die drei Waffentypen – der Rest sind Optik und unterschiedliche
Bonusfähigkeiten.)
Wenn man irgendwo nicht weiterkommt, kann man erstmal an anderer
Stelle weitermachen und kommt wieder, wenn man größer und stärker ist.
Es ist mir nur zwei- oder dreimal passiert, aber das Spiel warnt im
Zweifelsfall „Dir fehlt eine Spezialfähigkeit, hier kommst Du so nicht
weiter, lass es“. Das ist nett.
Pro
- Die Welt ist schön! Die Inseln sind riesig und vollgestopft mit
Dingen, die man einfach so entdecken kann. Hinter jeder zweiten
Wegbiegung steht ein Tempel und fast jeder davon hat eine Aufgabe,
die man lösen kann oder wenigstens ein paar Früchte zum
Einsammeln.
Die Landschaft hält sich an das Thema „sonniges Mittelmeerklima“ und ist in diesem Rahmen auch einigermaßen abwechslungsreich.
Man kann auch einfach mal zur Entspannung spazieren gehen und die Aussicht genießen.
Überhaupt sind Sonne und Schatten sowie Tag- und Nacht-Zyklus sehr schön umgesetzt. Tritt man aus der gleißenden Sonne in eine dunkle Höhle, dauert es einem Moment, bis man in der Höhle etwas sehen kann. Ein kleiner Effekt, der sich sehr realistisch anfühlt. - Die Welt ist riesig und es gibt fließende Übergänge. Ich bin sehr
fasziniert von der Grafik – die maximale Sichtweite scheint einfach
„unendlich“ zu sein und man kann jederzeit Details auf den
Nachbarinseln erkennen. Das fühlt sich großartig an.
Abgesehen vom Schnellreisen (Teleport) und dem Betreten von Untergrund-Prüfungen (Tartarus) gibt es auch keine Ladebildschirme: Man kann die gesamte Inselkette von einem zum anderen Ende ungestört in einem Zug durchreiten.
(Natürlich wird im Hintergrund partiell nachgeladen und es werden auch irgendwann Objekte ausgeblendet, wenn sie weiter weg sind, aber das passiert halt alles so, dass man es nicht groß bemerkt.) - Es ist ein echtes Open-World-Spiel. Man kann direkt vom Anfang an
hingehen, wo man möchte (wenn man es irgendwie über die Meerenge
schafft) und sich auch schon auf der Start-Insel direkt an heroische
Monster heranwagen, wenn man ausdauernd genug klettert und perfekt
kämpfen kann. (Die Start-Questreihe sollte man aber machen, sonst
hat man keine Fähigkeiten, aber auch das spielt bestimmt jemand als
Extra-Hardcore-Challenge.)
Initial kriegt man dann Quests für das erste Gebiet, aber es hindert einen nichts daran, einfach schon mal spätere Gebiete aufzusuchen und dort Aufgaben zu lösen. Die Monster sind dort stärker, aber da muss man dann halt durch (und unmöglich ist das auch nicht).
Toll ist auch, dass man abseits der Quests jede Menge Dinge machen kann und jede Menge Schätze, Rätsel usw. einfach mitten in der Landschaft herumliegen. Man kann wirklich planlos herumlaufen und jede Menge Dinge entdecken. - Die Rätsel und Aufgaben sind direkt in die Landschaft integriert.
Man reitet durch ein Tal und aus dem Augenwinkel sieht man etwas
Rotes schimmern: „Oh, ein versperrter Höhleneingang. Da ist
bestimmt ein Schatz dahinter.“ Jetzt geht das Rätseln los: Wie
kriege ich die Sperre ausgeschaltet? Gibt es hier irgendwo einen
Schalter? Kann ich irgendwo eine Wand zerdeppern? Oder muss ich
vielleicht einen speziellen Feind in der direkten Umgebung
besiegen?
Die Rätsel sind meist nicht sonderlich schwierig, man wird aber auch nicht gerade bei der Hand genommen. Wie oft habe ich einen nahegelegenen Wald abgeholzt und mühsam Holz herangeschleppt, um mit den Baumstämmen Bodenplatten zu beschweren, um dann nach Plündern des zugehörigen Schatzes festzustellen, wo der Felsbrocken liegt, den ich hätte nehmen sollen. In Grenzen kann man die Rätsel also auch anders lösen als eigentlich geplant.
Oft sind die Aufgaben auch thematisch passend: Bei einem Erntefest muss man Salatköpfe anschleppen; Odysseus' Boot will nach Hause gelenkt werden (das bleibt im Rahmen der üblichen Möglichkeiten: Boot hochheben und an die richtige Stelle schleppen) und wenn mitten auf einer Wiese einsame Statuen herumstehen, sollte man mal hingehen und sie genauer untersuchen. - Das Spiel ist umfangreich. Ich bin aktuell bei ~30 Stunden
Spielzeit und würde mich grob in der Mitte des Spiels einschätzen.
In den Gebieten, die ich schon durchquestet habe, sind weiterhin
noch Prüfungen und Schätze offen, ich habe noch lange nicht alles
abgeräumt. Was nach der aktuellen „frei herumlaufen, diverse Quests
machen“-Phase als Nächstes kommt und wie das Endgame aussieht, weiß
ich nicht.
Wer nicht genug bekommt: Es gibt wohl mindestens drei DLCs mit neuen Quests und Gebieten, da weiß ich aber nichts zu Umfang und Qualität.
Contra
- Ubisoft-Onlinezwang: Als Hauptuser (und Download-Owner) auf der
Switch war es mir unmöglich, das Spiel zu starten, ohne mir vorher
einen Ubisoft-Account anzulegen und mit dem Spiel zu verknüpfen.
Lustigerweise konnte meine Frau mit ihrem Switch-Zweit-Account das
Spiel vollkommen ungestört und ohne Online-Nerv spielen, bevor ich
mir den Ubisoft-Account angelegt hatte. Man kann ds also aussitzen,
wenn man nicht mit seinem Hauptaccount spielt.
Bonus fürs Online-Sein sind so weit ich das sehe ein paar Daily und Weekly Quests sowie ein Echtgeldshop, in dem man sich kosmetische Items kaufen kann. Und der Start des Spiels dauert jetzt länger, weil es erstmal eine halbe Minutem mit Ubisoft telefoniert.
Malus fürs Online-Sein sind meiner Meinung nach unnötig von Mitspielern auf der Karte eingeblendete Screenshots (vermutlich als Tippgeber für schwere Rätsel gedacht). Die kann man zwar abschalten, das muss man aber nach jedem „alles Einblenden“ auf der Karte noch einmal wiederholen… - Manchmal fühlt sich das Spiel nach Arbeit an ;-)
Ich weiß nicht, ob das wirklich ein großer Nachteil ist oder eher für den „Realismus“ des Spiels spricht: Das Herumkugeln großer Feldbrocken passiert so langsam und mit einem gewissen Lag in der Steuerung, dass es sich physikalisch gut modelliert anfühlt. Leider manchmal zu gut: Es ist mir schon mal passiert, dass ich ein Rätsel durchschaut habe („die Dinger müssen da hin, dafür muss ich da lang und dann so…“), dann aber einfach aufgegeben habe wegen „das ist mir jetzt zu viel Arbeit, das da langzukugeln, das dauert doch ewig“.
Ich will zum Entspannen spielen, nicht um Arbeit zu simulieren ;-)
Interessanterweise empfinde ich die Daily und Weekly Quests hier nicht als nervig, störend und zeitfressend, weil sie total optional sind.[1] - Ich bin mit der Steuerung noch etwas auf Kriegsfuß. Fenyx steuert
sich deutlich langsamer als z.B. Kratos in God of War, auch die
Kämpfe finden daher in einem anderen Tempo statt. Eine
Axt-Combo-Attacke von Fenyx kann sich etwas hinziehen, in der Zeit
kann Kratos drei verschiedene Gegner aufs Korn nehmen. Mich stört
das manchmal, meine Frau ist darüber vermutlich eher glücklich (das
ist ihr erstes Spiel am Joypad, sie war anfangs ganz schön am
Fluchen bei jeder Art von Renn-, Sprung- und Kletter-Action).
Auch das Klettern ist manchmal etwas hakelig, dann hält sich Fenyx ständig wieder fest, statt endlich herunterzuspringen. Letztendlich wird das aber eher an mir liegen, da muss ich noch mehr üben. (Oder die Knopfbelegung umstellen, das Optionsmenü erlaubt da einiges.)
Womit ich wohl nie warm werde, ist der Controller zum Schwenken der Kamera bzw. zum Steuern des Fernlenk-Pfeiles: Man kann in den Optionen die y-Achse des Controllers invertieren, aber meine Verwirrung scheint daher zu stammen, dass ich es für die Kamerabewegung sorum und für das Steuern des Pfeiles genau andersrum haben will – ich muss mich aber für eine Variante entscheiden.
Und manchmal spielt dann noch die Controller-Schwenk-Steuerung (Zielen durch Handhaltung, Wiimote-Style) mit rein, da gewöhne ich mich langsam dran (wobei ich die testweise auch mal abschalten sollte, vielleicht hilft mir das). - Fenyx' weibliche Stimme hat in der englischen Synchronisation einen pseudo-griechischen Akzent, der für meine non-native-speaker-Ohren eher nach Russisch klingt. Aber beide Sprachen benutzen das gleiche Alphabet, das wird schon passen ;-) Meine Frau hat deshalb auf Deutsch umgeschaltet, aber ich bleibe trotzdem bei Englisch. In Spielen und Büchern ist mir das lieber.
Fazit
Wer auf 3D-Third-Person-Action-Adventures mit Herumlaufen, Erforschen, Rätseln und Kämpfen steht, der sollte hier seinen Spaß haben. Das Spiel ist groß und umfangreich bietet einiges zu entdecken. Wer Kompass und Karte abschaltet, hat noch mehr davon. Es gibt für die Switch eine Demo-Version (keine Ahnung, wie tief die ins Spiel einführt), die sollte man sich mal angucken. Wie es auf anderen Konsolen aussieht, weiß ich nicht.
Nach Skyward Sword ist das hier mein zweites Switch-Spiel. Wenn das auf der kleinen Switch schon so gut aussieht (insbesondere der Weitblick über die Inseln), möchte ich gar nicht wissen, was die „großen“ Konsolen heute alles können.
Nachtrag aus der Zukunft
Irgendwie habe ich es geschafft, diesen Artikel 07/2022 fast fertig zu schreiben, die Veröffentlichung dann aber bis 09/2023 zu verschleppen. Daher noch ein paar Ergänzungen:
- Auf der letzten großen Insel (die optisch mal was anderes als „sonniges Mittelmeer“ ist) habe ich eine große Zeit lang die Lust am Weiterspielen verloren. Das lag daran, dass dort unerwartet das Open-World-Setting zu Ende ist und man die Insel in einer großen, vorgegebenen Runde abgrasen muss. Leider habe ich am Anfang den Einstieg in dieses Railroading verpasst und bin tagelang durch die Gegend geirrt und habe mich über die „Du kannst hier nicht einfach wie sonst mitten durch Gemüse spazieren“-Mechanik geärgert. Als mir meine Frau dann den entscheidenden Tipp gegeben hat, ging's weiter und es hat wieder Spaß gemacht.
- Nach der Pause kam ich mit der Steuerung besser zurecht, als ich zuvor hier im Artikel beschrieben habe. Ich habe noch nicht herausgefunden, woran das lag.
- Zwischenzeitlich habe ich Mario Odyssey gespielt und da zeigt sich ein großer Unterschied zu Fenyx: Mario spielt und steuert sich deutlich flüssiger als Fenyx. Das scheint nicht nur an der Steuerung selbst zu liegen – ich glaube, Fenyx hat höhere Hardware-Anforderungen (alleine schon durch die größere Detailanzahl und Blickweite) und läuft deshalb mit weniger FPS. Mario ist auf genau das Gegenteil getrimmt.
- Nach über 60 Stunden hatte ich das Spiel durch. Aktuell bin ich jenseits von 70 Stunden und es gibt immer noch Content zu entdecken. Ganz zu schweigen von bereits entdecktem High-End-Content, bei dem ich mir sage „das ist mir zu wild, da werde ich nicht 2 Tage lang probieren, bis ich das endlich mal schaffe“[2]
Es bleibt dabei: Hat Spaß gemacht, macht immer noch Spaß und für die von mir bezahlten 15 EUR ein unglaubliches Preis-/Leistungsverhältnis.
onli am um :
Zur Steuerung, vielleicht hat da ein Patch geholfen? Kann mir gut vorstellen, dass deine Beobachtung stimmt und die Technik der Switch-Version nicht so gut war. Oder du hast in der Pause unterbewusst deine Erfahrungen verarbeitet und warst dann drauf eingestellt ;)
mitch am um :
Der Vergleich mit Zelda liegt sehr nahe. Aktuell spiele ich Breath of the Wild und das fühlt sich ein wenig wie Mario an: Flüssiger und weniger hakeliger in der Steuerung.
Fenyx und Breath of The Wild sind sich recht ähnlich, aber trotzdem eigenständig genug. Und BotW wird man vermutlich nicht für 15 EUR finden…